Digitale Barrierefreiheit 2025 – Rechtslage und Praxis in Österreich

Ab Juni 2025 gelten verschärfte Barrierefreiheits-Vorgaben für digitale Angebote. Ein umfassender Leitfaden zu rechtlichen Anforderungen, WCAG-Standards und praktischer Umsetzung.

Kurt Dirnbauer
Kurt Dirnbauer
CEO
WebentwicklungUI/UX Design

Einführung: Warum Barrierefreiheit entscheidend ist

Barrierefreiheit bedeutet digitale Teilhabe für alle – unabhängig von Behinderung oder Einschränkung. In Österreich leben etwa 760.000 Menschen mit einer registrierten Behinderung (8,3% der Bevölkerung). Zählt man lang anhaltende Beeinträchtigungen hinzu, sind rund 18,4% der Bevölkerung ab 15 Jahren betroffen – das entspricht etwa 1,3 Millionen Menschen. Europaweit sind es über 100 Millionen Menschen.

Diese Zahlen repräsentieren nicht nur eine gesellschaftliche Verantwortung, sondern ein erhebliches Marktpotenzial. Websites, die 10–20% potenzieller Nutzer:innen ausschließen, verschenken Reichweite, Umsatz und Reputation.

Business Impact

Barrierefreie Websites erreichen mehr Nutzer:innen, ranken besser in Suchmaschinen und zeigen soziale Verantwortung. Eine Investment mit messbarem ROI.

Mehrwert für alle Nutzer:innen

Barrierefreiheit verbessert die User Experience grundlegend:

  • Klarere Struktur: Semantisches HTML und logische Navigation helfen allen Nutzer:innen
  • Höhere Kontraste: Bessere Lesbarkeit auch bei suboptimalen Lichtverhältnissen
  • Mobile Optimization: Touch-freundliche Elemente funktionieren universell
  • SEO-Vorteile: Suchmaschinen bevorzugen strukturierten, zugänglichen Content

Google honoriert barrierefreie Websites mit besserer Sichtbarkeit. Accessibility ist kein Zusatzfeature – es ist moderne Web-Entwicklung.


Gesetzliche Grundlagen in Österreich

Die rechtliche Landschaft hat sich fundamental gewandelt. Was lange als "Nice-to-have" galt, ist nun gesetzliche Pflicht mit konkreten Konsequenzen.

Chronologie der Rechtsentwicklung

Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG)

Grundlegendes Diskriminierungsverbot – ohne konkrete Web-Standards oder Strafen. Theoretisch anwendbar, praktisch wenig durchgesetzt.

Web-Zugänglichkeits-Gesetz (WZG)

Verpflichtet öffentliche Stellen zu WCAG 2.1 AA. Monitoring durch FFG etabliert. Erstmals systematische Überwachung.

Barrierefreiheitsgesetz (BaFG)

Ab 28. Juni 2025: Private Unternehmen müssen digitale Produkte und Services barrierefrei anbieten. Erstmals Verwaltungsstrafen bis €80.000.

Entscheidungsbaum: Wer ist betroffen?

Übergangsfristen beachten

Für Unternehmen mit ≥10 Mitarbeitenden oder ≥€2 Mio Umsatz endet die Schonfrist am 28. Juni 2025. Betroffen sind rund 70.000 Unternehmen in Österreich.


Durchsetzung und Konsequenzen

Öffentlicher Sektor

Die FFG (Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft) überwacht öffentliche Websites stichprobenartig und berichtet alle 3 Jahre an die EU-Kommission.

Beschwerdeverfahren:

  • Bürger können Beschwerden über nicht-barrierefreie Behörden-Websites einreichen
  • FFG prüft und fordert Verbesserungen ein
  • Bei Nicht-Einhaltung: Weitere rechtliche Schritte möglich

In der Praxis wird kooperativ nachgebessert – Ziel ist Verbesserung, nicht Strafe.

Privater Sektor (ab 2025)

Die neue Überwachungsstelle im Sozialministerium kann erstmals Verwaltungsstrafen verhängen:

Verstoß-ArtMaßnahmeMax. Strafe
Erster VerstoßAufforderung zur Behebung
Keine BehebungVerwaltungsbescheid€5.000–20.000
Wiederholter VerstoßErhöhte Strafen€20.000–50.000
Grober VerstoßMaximum-Strafebis €80.000

Verfahrensablauf

Betroffene können Beschwerden an die Sozialministerium-Stelle richten. Diese prüft, erlässt ggf. Bescheide und kann Strafen festlegen. Rechtsmittel: Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht.

Wichtig: Die Behörden setzen auf Kooperation. Wer proaktiv handelt, hat nichts zu befürchten. Ignorieren wird jedoch zunehmend teuer.


Mehrwert von Barrierefreiheit für Unternehmen

Barrierefreiheit ist keine Compliance-Übung – es ist strategische Investition mit messbarem Return.

Quantifizierbare Vorteile

Größere Zielgruppe

10–20% der Österreicher haben eine Behinderung. Dazu kommen ältere Menschen mit nachlassender Sehkraft oder Motorik. Barrierefreie Websites erschließen neue Kundensegmente.

Bessere UX für alle

Klare Strukturen, deutliche Kontraste, einfache Sprache – das schätzen alle Nutzer:innen. Barrierefreiheit korreliert direkt mit allgemeiner Usability.

SEO-Optimierung

Semantisches HTML, Alt-Texte, strukturierte Inhalte – Ranking-Faktoren, die Suchmaschinen belohnen. Accessibility zahlt auf Sichtbarkeit ein.

Business Case

Ökonomisches Potenzial

Laut EY Österreich birgt Barrierefreiheit "Potenzial für mehr Teilhabe und für neue Märkte". Barrierefreie Webshops steigern Conversion Rates messbar.

Weitere Vorteile:

  • Image & CSR: Soziale Verantwortung als Wettbewerbsvorteil im Employer Branding
  • Innovationstreiber: Barrierefreiheit fördert nutzerzentriertes, modernes Design
  • Rechtssicherheit: Prävention ist günstiger als Strafen und Nachbesserung

Wichtige Aspekte der Web-Barrierefreiheit

Struktur vor Design: Überschriften und Semantik

Überschriften sind nicht nur visuelle Dekoration – sie bilden die semantische Struktur, die Screenreader für Navigation nutzen.

Häufiger Fehler

Texte werden nur optisch formatiert (fett, 18pt) statt als echte <h1>, <h2>-Elemente ausgezeichnet. Für Assistenztechnologien bleibt die Seite strukturlos.

Best Practice:

  • Nutzen Sie CMS-Formatvorlagen (Überschrift 1, 2, 3) statt manueller Größen-Änderung
  • Halten Sie die Hierarchie logisch: H1 → H2 → H3 (keine Ebenen überspringen)
  • Verwenden Sie semantische HTML-Elemente gemäß ihrem Zweck

Grundsatz: Inhaltliche Struktur vor optischem Design. CSS kann das Erscheinungsbild jederzeit anpassen – die semantische Basis muss stimmen.

Screenreader verstehen

Screenreader wandeln Screen-Inhalte in synthetische Sprache oder Braille-Ausgabe um. Für blinde Menschen sind sie das Fenster zum Web.

Funktionsweise:

  • Erfassen Text und HTML-Struktur
  • Ausgabe akustisch (Sprachsynthese) oder taktil (Braillezeile)
  • Navigation via Überschriften, Links, Landmarks

Demonstration

Empfehlung: YouTube-Video "Internetseiten vorlesen lassen? Wir erklären den Screenreader!" für praktischen Einblick in Screenreader-Navigation.

Konsequenz: Alles Visuelle muss als Text verfügbar sein. Icons brauchen Labels, Bilder Alt-Texte, Buttons aussagekräftige Beschriftungen.


Praktische Umsetzung

Sprachwechsel korrekt kennzeichnen

Screenreader nutzen Sprachprofile für korrekte Aussprache. Englische Begriffe in deutschen Texten werden ohne Sprachwechsel-Markierung falsch vorgelesen.

Beispiel: "Tag" wird deutsch als "Tahg" statt englisch als "täg" ausgesprochen. "Download" wird zu "Down-lohd".

Lösung: <span lang="en">Tag</span> für Sprachwechsel in HTML.

Pragmatischer Ansatz

Nicht jedes Fremdwort markieren – das macht die Ausgabe holprig. Fokus auf ganze Absätze oder kritische Begriffe, wo sonst Verständnisprobleme entstehen.

Alternativtexte für Bilder und Videos

Bilder ohne Alt-Text sind für Screenreader "leere Flächen" – Informationsverlust für blinde Menschen.

Alt-Text Best Practices:

<!-- Informatives Bild -->
<img src="produkt.jpg" alt="Roter Sportwagen Modell XYZ, Seitenansicht" />

<!-- Logo -->
<img src="logo.svg" alt="Webconsulting GmbH Logo" />

<!-- Dekoratives Bild -->
<img src="decoration.svg" alt="" />

Videos: Untertitel für hörbehinderte Menschen, Kurzbeschreibung oder Audiodeskription für wichtige visuelle Inhalte.

Workflow-Tipp

Machen Sie Alt-Texte zur Gewohnheit beim Bildupload. Die meisten CMS haben ein Feld dafür – nutzen Sie es konsequent.

Farben und Kontraste im Corporate Design

Corporate Colors müssen nicht aufgegeben werden – aber strategisch eingesetzt.

Praxis-Beispiel: Unternehmen mit hellgrünem CI nutzt dieses nur für große Überschriften auf Weiß. Für Fließtext wurde ein dunkleres Grün definiert – minimaler Unterschied, volle Compliance.

KI-Unterstützung für barrierefreie Inhalte

Moderne KI-Tools beschleunigen die Umsetzung erheblich:

KI als Assistenz, nicht Autorität

Verlassen Sie sich nicht blind auf KI-Vorschläge. Nutzen Sie sie für Routinearbeit und Ideenfindung – die finale Verantwortung bleibt menschlich.


Bestehende Websites verbessern

Sie haben bereits eine Website? Diese Quick Wins bringen sofortige Verbesserung:

  • Überschriften-Hierarchie prüfen: 95% der Barrierefreiheitsprobleme entstehen durch falsch strukturierte Überschriften – nutzen Sie semantische HTML-Elemente statt manueller Formatierung.
  • Alt-Texte ergänzen: 90% der Websites haben unvollständige Bildbeschreibungen – ergänzen Sie präzise Alternativtexte für alle informativen Bilder.
  • Link-Texte verbessern: 85% aller Screenreader-Nutzer:innen navigieren primär über Links – formulieren Sie aussagekräftige Beschreibungen statt "hier klicken".
  • Kontraste optimieren: 80% der Nutzer:innen profitieren von besseren Farbkontrasten – setzen Sie mindestens 4,5:1 für normalen Text um.
  • Tastatur-Navigation testen: 75% der motorisch eingeschränkten Nutzer:innen sind auf Tastatursteuerung angewiesen – stellen Sie sicher, dass alle Funktionen per Tab/Enter erreichbar sind.
  • Formulare beschriften: 70% der Formular-Fehler entstehen durch fehlende Labels – verknüpfen Sie jedes Eingabefeld mit einem aussagekräftigen Label-Element.
  • Videos mit Untertiteln: 65% der Menschen schauen Videos ohne Ton – bieten Sie Untertitel oder Transkripte für alle Video-Inhalte an.

Detaillierte Checkliste

80/20-Regel

Diese Basics decken 80% der häufigsten Barrierefreiheits-Probleme ab. Starten Sie bei den wichtigsten Seiten (Startseite, Produktseiten) und arbeiten Sie sich systematisch durch.


WCAG 2.1 und 2.2 – Standards verstehen

Was ist WCAG?

Web Content Accessibility Guidelines – der internationale Standard für barrierefreie Web-Inhalte, erstellt vom W3C.

Konformitätsstufen:

FeatureLevel ALevel AALevel AAA
AnforderungenGrundlegendMittelHoch
Gesetzlich gefordert
PraktikabilitätMust-haveRealistischSehr aufwändig
Erfolgskriterien~25~50~80
EmpfehlungMinimumStandardOptional

Level AA ist der gesetzlich geforderte Standard in Europa – ein realistischer Mittelweg zwischen Accessibility und Umsetzbarkeit.

WCAG 2.2 – Was ist neu?

WCAG 2.2 (Oktober 2023) ergänzt 2.1 um 9 neue Erfolgskriterien:

KriteriumLevelBeschreibung
Fokus nicht verdecktAAFokussierte Elemente dürfen nicht von anderem Inhalt überlagert werden
Dragging MovementsAAAlternative zu Drag-and-drop für motorische Einschränkungen
ZielgrößeAAInteraktive Elemente mind. 24×24 CSS-Pixel
Konsistente HilfeAHilfsfunktionen einheitlich positioniert
Redundante EingabeABereits eingegebene Infos nicht erneut abfragen
Accessible AuthenticationAABarrierefreie Login-Verfahren (keine rein visuellen CAPTCHAs)

Timeline

Aktuell fordern Gesetze noch WCAG 2.1 AA. WCAG 2.2 wird voraussichtlich in der nächsten Novelle verpflichtend. Empfehlung: Bei Neuprojekten bereits WCAG 2.2 implementieren.

Die 4 Leitprinzipien

WCAG basiert auf vier fundamentalen Prinzipien:

  1. Wahrnehmbarkeit: Informationen müssen für Nutzer:innen wahrnehmbar sein (z.B. Alt-Texte, Untertitel, ausreichend Kontrast)
  2. Bedienbarkeit: Navigation und Interaktion müssen für alle funktionieren (Tastatur, Touch, Sprache)
  3. Verständlichkeit: Inhalte und Bedienung müssen verständlich sein (klare Sprache, logische Struktur)
  4. Robustheit: Kompatibilität mit verschiedenen Technologien und Assistenzsystemen

Wer nach diesen Prinzipien entwickelt, erfüllt automatisch die meisten Kriterien.


Häufige Probleme und Lösungen

Die "Klassiker" bei österreichischen Website-Audits:

Diese sieben Problemfelder decken den Großteil aller Barrieren ab. Systematische Behebung eliminiert 80%+ der Accessibility-Issues.


Fazit und Handlungsempfehlung

Digitale Barrierefreiheit in Österreich ist vom "Nice-to-have" zur gesetzlichen Pflicht mit echten Konsequenzen geworden. Ab 28. Juni 2025 drohen Unternehmen erstmals Verwaltungsstrafen bis €80.000.

Die Kernbotschaft

Barrierefreiheit ist keine Compliance-Last – es ist strategische Investition:

  • Größere Reichweite: 10–20% mehr potenzielle Nutzer:innen
  • Bessere UX: Optimierung für alle, nicht nur für Menschen mit Behinderung
  • SEO-Vorteile: Strukturierter, semantischer Content rankt besser
  • Rechtssicherheit: Proaktives Handeln vermeidet Strafen
  • Image-Gewinn: CSR und soziale Verantwortung als Differenzierung

Konkrete Next Steps

Kurzfristig (nächste 3 Monate)

Bestandsaufnahme durchführen

  • Wichtigste Seiten auf Basics prüfen (Alt-Texte, Kontraste, Überschriften)
  • Quick Wins umsetzen (siehe Checkliste oben)
  • Team sensibilisieren

Mittelfristig (3-6 Monate)

Systematische Optimierung

  • Vollständiger WCAG 2.1 AA Audit
  • Technische Anpassungen implementieren
  • Content-Prozesse etablieren (Alt-Texte-Workflow)

Langfristig (6+ Monate)

Continuous Improvement

  • WCAG 2.2 Kriterien integrieren
  • Automatisierte Tests in CI/CD
  • Regelmäßiges Feedback der Nutzer:innen einholen

Strategisch (fortlaufend)

Kulturwandel

  • Accessibility als Design-Prinzip verankern
  • Team-Schulungen etablieren
  • Von Anfang an barrierefrei entwickeln

Unser Ansatz

Bei Webconsulting integrieren wir Barrierefreiheit von Anfang an in jeden Projektschritt – von Konzeption über Design bis Entwicklung. WCAG-Compliance ist nicht Add-on, sondern Standard.

Ressourcen

Offizielle Stellen:

Standards & Guidelines:

Tools:

  • Kontrastrechner: WebAIM Contrast Checker
  • Accessibility Testing: axe DevTools, WAVE
  • Screenreader: NVDA (Windows), JAWS, VoiceOver (macOS/iOS)

Kontakt: Für Fragen zur Umsetzung oder WCAG-Audits kontaktieren Sie uns unter office@webconsulting.at

Barrierefreiheit ist kein Projekt mit Enddatum – es ist kontinuierlicher Prozess. Aber jeder Schritt ist ein Gewinn: für Ihre Nutzer:innen, für Ihr Business, für eine inklusive digitale Gesellschaft.

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Standorte

  • Mattersburg
    Johann Nepomuk Bergerstraße 7/2/14
    7210 Mattersburg, Austria
  • Wien
    Ungargasse 64-66/3/404
    1030 Wien, Austria

Dieser Inhalt wurde teilweise mithilfe von KI erstellt.