Wem gehört das Internet? Governance, Akteure und Strukturen 2025
Wem gehört das Internet wirklich? Eine Analyse der vier Ebenen: Von Unterseekabeln über DNS-Verwaltung bis zur Plattform-Regulierung – wer kontrolliert die digitale Infrastruktur 2025.
Einleitung: Die Frage nach der Kontrolle
Die Frage „Wem gehört das Internet?" erscheint zunächst einfach, erweist sich jedoch als wissenschaftlich komplex. Die technische Antwort lautet: Niemandem. Das Internet ist ein dezentrales „Netzwerk von Netzwerken" ohne zentralen Eigentümer.
Im Jahr 2025 beschreibt diese Antwort jedoch nur die formale Architektur – die faktischen Eigentums- und Kontrollverhältnisse haben sich grundlegend verändert.
Das Internet hat sich von einem akademischen Kooperationsprojekt zu einer kritischen globalen Infrastruktur entwickelt. Dabei sind unterschiedliche Akteure in verschiedenen Schichten des Internets zu dominanten Positionen gelangt. Diese Analyse untersucht die aktuellen Strukturen systematisch.
Aufbau dieses Artikels
Teil 1: Das 4-Schichten-Modell
Wer kontrolliert welche Ebene?
→ Physische Infrastruktur (Kabel) → Logische Infrastruktur (DNS, IP) → Plattformen (Google, Meta) → Politik (Regulierung)
Teil 2: Technische Grundlagen
Wie funktioniert das Internet?
→ IP-Adressen erklärt → DNS-System → Routing zwischen Netzwerken → Netzneutralität
Teil 3: Fazit
Was bedeutet das für uns?
→ Zusammenfassung → Implikationen für Europa → Handlungsfelder für Österreich
Dieser Artikel beantwortet die Frage „Wem gehört das Internet?" durch einen systematischen Blick auf vier Ebenen – von den physischen Kabeln bis zur politischen Regulierung.
Teil 1 zeigt: Wer kontrolliert was? Teil 2 erklärt: Wie funktioniert das technisch? Teil 3 fragt: Was bedeutet das für Europa?
Sie können Teil 2 überspringen, wenn Sie sich primär für die politischen und wirtschaftlichen Aspekte interessieren.
Teil 1: Das 4-Schichten-Modell der Internet-Governance
Um zu verstehen, wer das Internet kontrolliert, unterteilen wir es in vier funktionale Ebenen. Jede Ebene hat eigene Akteure, eigene Machtverhältnisse und eigene Herausforderungen:
Ebene 1: Physische Infrastruktur
Die Hardware-Ebene: Glasfaserkabel, Unterseekabel, Rechenzentren und Zugangsnetzwerke. Hier zeigt sich eine signifikante Verschiebung der Eigentumsverhältnisse.
Ebene 2: Logische Infrastruktur
Die Protokoll- und Verwaltungsebene: IP-Adressen, DNS und technische Standards. Hier werden verschiedene Governance-Modelle verhandelt.
Ebene 3: Plattform-Ebene
Die Anwendungs- und Daten-Ebene: Suchmaschinen, soziale Medien, Cloud-Dienste – die für Endnutzer:innen sichtbare Schicht.
Ebene 4: Politische Ebene
Die Governance-Ebene: Regulierung, Zugangspolitik und Inhaltssteuerung durch Nationalstaaten und internationale Organisationen.
Niemand besitzt das Internet formal – jedoch zeigen sich auf jeder Ebene unterschiedliche Konzentrationstendenzen: Die physische Infrastruktur wird zunehmend von Technologiekonzernen kontrolliert, die logische Verwaltung steht unter geopolitischem Druck, die Plattform-Ebene weist hohe Marktkonzentration auf, und auf der politischen Ebene konkurrieren verschiedene Governance-Modelle.
Ebene 1: Die physische Infrastruktur – Strukturwandel bei Unterseekabeln
Beginnen wir mit dem, was man anfassen kann: Glasfaserkabel, Unterseekabel und Rechenzentren.
Verschiebung der Eigentumsverhältnisse: Von Telekommunikationsunternehmen zu Technologiekonzernen
Eine der signifikantesten Entwicklungen der letzten Dekade betrifft eine Infrastrukturebene, die für Endnutzer:innen kaum sichtbar ist: die Unterseekabel-Infrastruktur.
Anteil an internationaler Unterseekabel-Kapazität 2025 (%)
Die empirischen Daten: Der Anteil der von Google, Meta, Amazon und Microsoft genutzten internationalen Kabelkapazität stieg innerhalb von zehn Jahren von 10% auf über 71%. [2] [3]
Früher wurden transkontinentale Unterseekabel von Konsortien traditioneller Telekom-Unternehmen gebaut. Nationale Akteure wie A1 Telekom Austria, Deutsche Telekom oder AT&T teilten sich Kosten und Risiken. Internet-Firmen wie Google oder Facebook waren lediglich „Kunden", die Kapazitäten anmieteten.
Dieses Modell hat sich verändert.
Fallstudie: Metas „Project Waterworth" (2025)
Im Februar 2025 kündigte Meta ein umfangreiches Seekabel-Projekt an: Project Waterworth. [1] Die technischen Parameter:
| Merkmal | Detail | Strategische Bedeutung |
|---|---|---|
| Länge | > 50.000 km | Länger als der Erdumfang – das längste Seekabelprojekt der Welt |
| Reichweite | 5 Kontinente | USA, Indien, Brasilien, Südafrika – Fokus auf Globalen Süden |
| Technologie | 24 Faserpaare | Branchenführend (vs. übliche 8-16) – massive Kapazität |
| Ziel | KI-Innovation | Motor für KI-Entwicklung weltweit, digitale Wirtschaft beschleunigen |
"Waterworth soll nicht nur Konnektivität für Facebook oder Instagram schaffen – es ist als Motor für KI-Innovation weltweit konzipiert."
— Meta Engineering Team, 2025
Strategische Implikation: Vertikale Integration
Diese Investitionen gehen über Kostenoptimierung hinaus. Sie ermöglichen eine vertikale Integration entlang der Wertschöpfungskette:
Diese Infrastrukturprojekte haben geopolitische Relevanz. [6] Obwohl von privaten US-Unternehmen realisiert, beeinflussen sie die globalen Datenrouten und haben Auswirkungen auf wirtschaftliche und infrastrukturelle Positionen. [7]
Die Routenplanung berücksichtigt dabei geopolitische Faktoren: Metas Projekte vermeiden Regionen wie das Rote Meer, wo 2024 mehrere Kabel beschädigt wurden, was zu Verbindungsunterbrechungen in Ostafrika führte.
Big Techs Kabel-Portfolio 2025
Ebene 2: Die logische Infrastruktur – Verwaltung und Standardisierung
Ebene 1 hat gezeigt: Big Tech kontrolliert zunehmend die physischen Kabel. Doch wer bestimmt, wie Daten durch diese Kabel adressiert werden? Das geschieht auf Ebene 2.
Von der physischen Ebene bewegen wir uns nun eine Schicht nach oben: Während Kabel die Übertragungsmedien darstellen, bildet die logische Infrastruktur die Verwaltungs- und Adressierungsebene – die "Regeln" des Datenverkehrs:
- IP-Adressen (Internet Protocol): Die eindeutigen „Postanschriften" für jedes Gerät
- DNS (Domain Name System): Das verteilte „Telefonbuch", das Namen in Adressen übersetzt
Das Multistakeholder-Modell unter Druck
Diese Schicht wird nicht „besessen", sondern durch das „Multistakeholder-Modell" verwaltet [8] – ein dezentrales Governance-System mit Beteiligung von technischen Expert:innen, Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft und Regierungen.
Schlüsselorganisationen:
| Feature | Rolle | Status 2025 |
|---|---|---|
| ICANN | Koordination von Domainnamen & IP-Adressen | Unter geopolitischem Druck, neue Strategie 2026-2030 |
| IETF | Definition technischer Standards (RFCs) | Neue AI Preferences Working Group (2025) |
| RIPE NCC | IP-Verwaltung für Europa/Naher Osten | Aktive Beteiligung an UN-Prozessen |
Diese historisch technisch orientierten Gremien sind zunehmend mit geopolitischen Fragestellungen konfrontiert. Hintergrund: Die Debatte zwischen dem offenen Multistakeholder-Modell und staatlich-zentralisierten Ansätzen betrifft ihre institutionelle Rolle.
Fallstudie: ICANNs Strategieplan 2026-2030
Der neue Fünfjahres-Strategieplan der ICANN (in Kraft seit 1. Juli 2025) ist bemerkenswert: Erstmals benennt eine technische Verwaltungsorganisation geopolitische Bedrohungen als zentrales Handlungsfeld. [12] [13]
Ein explizites strategisches Ziel:
„Geopolitische Probleme angehen, die die Mission der ICANN beeinträchtigen, um ein einziges, global interoperables Internet zu sichern."
— ICANN Strategieplan 2026-2030
Dies steht im Kontext von Initiativen (insbesondere von China und Russland), die Zuständigkeiten für die logische Schicht von ICANN auf UN-Organisationen wie die ITU (Internationale Fernmeldeunion) zu übertragen.
Auswirkungen der KI-Entwicklung auf Ebene 2
Eine bemerkenswerte Entwicklung: Die IETF befasst sich 2025 mit dem „Scraping" von Web-Inhalten durch KI-Crawler.
Als Reaktion gründete die IETF im Januar 2025 eine neue Arbeitsgruppe: die „AI Preferences (AIPREF) Working Group". [16] [17]
Ziel der AIPREF Working Group: Entwicklung eines technischen Standards – ähnlich dem etablierten robots.txt – mit dem Web-Publisher standardisiert und maschinenlesbar definieren können, wie ihre Inhalte von KI-Modellen genutzt werden dürfen.
Ebenenübergreifende Wirkung: Ein Phänomen auf Ebene 3 (Datenerfassung durch KI-Plattformen) führt zu einer Reaktion auf Ebene 2 (Entwicklung eines neuen Protokolls).
Ebene 3: Die Plattform-Ebene – Marktkonzentration bei digitalen Diensten
Die meisten Menschen denken bei „Internet" nicht an Kabel oder IP-Adressen, sondern an Google, Facebook, Amazon. Das ist Ebene 3 – und hier zeigt sich: Dieselben Unternehmen, die auf Ebene 1 Kabel bauen, dominieren auch hier.
Nun zur Ebene, die für Nutzer:innen am sichtbarsten ist: Suchmaschinen, soziale Medien, App Stores, E-Commerce und Cloud-Dienste – das, was die meisten Menschen als „das Internet" wahrnehmen.
Status 2025: Hohe Marktkonzentration verstärkt durch KI-Investitionen
Kapitalausgaben (Capex) 2023–2026: Big Tech vs. Telekoms in Mrd. $
Im Jahr 2025 wird diese Ebene von GAMA (Google, Amazon, Meta, Apple) bzw. den „Magnificent Seven" dominiert:
- Cloud: AWS dominiert, generiert Großteil von Amazons Betriebsgewinn
- Mobile: Google (Android) & Apple (iOS) halten Duopol über App-Zugang
- Suche & Werbung: Google dominiert den globalen Suchmarkt
- E-Commerce: Amazon hält 38% US-Marktanteil
- Soziale Medien: Meta (Facebook, Instagram, WhatsApp) dominiert
Die bestehende Marktkonzentration wird seit 2024 durch hohe KI-Investitionen weiter verstärkt.
Die Kapitalausgaben (Capex) der Technologiekonzerne steigen signifikant: von 144 Mrd. $ (2023) auf prognostizierte 439 Mrd. $ (2026). Meta allein plant über 100 Mrd. $ Capex für 2026. [4]
Empirisch zeigt sich: Die hohen Eintrittsbarrieren im KI-Bereich begünstigen etablierte Akteure mit entsprechender Kapitalausstattung.
Die regulatorische Gegenoffensive: Der „Brüssel-Effekt"
Der einzige globale Akteur, der dieser Dominanz mit umfassender, harter Regulierung begegnet, ist die Europäische Union mit ihrem Gesetzespaket aus Digital Services Act (DSA) und Digital Markets Act (DMA). [22] [24]
Digital Markets Act (DMA)
Reguliert die Marktmacht von „Gatekeepern" durch Verbote von Selbstbevorzugung, Drittanbieter-Beschränkungen und unfairer Datennutzung. Betroffene: Google, Apple, Meta, Amazon, Microsoft, ByteDance. Status: Durchsetzung seit März 2024.
Digital Services Act (DSA)
Schafft Transparenzpflichten für große Plattformen (VLOPs): Algorithmen-Offenlegung, Risikomanagement bei Desinformation, Content-Moderation und Grundrechtsschutz. Betroffene: Plattformen mit >45 Mio. EU-Nutzer:innen. Status: In Kraft seit Februar 2024.
Very Large Online Platforms (VLOPs) sind besonders große Plattformen mit mehr als 45 Millionen aktiven Nutzer:innen in der EU. Für sie gelten strengere Regeln, da sie größeren gesellschaftlichen Einfluss haben.
Durchsetzungspraxis 2024/2025
Die Jahre 2024 und 2025 markieren den Übergang von Gesetzgebung zu Umsetzung. [27] [31] Die EU-Kommission führt Verfahren gegen verschiedene Technologieunternehmen:
| Unternehmen | Verstöße | Sanktion |
|---|---|---|
| Self-Preferencing in Search, Play Store Beschränkungen | Formelle Untersuchung seit März 2024 | |
| Apple | Anti-Steering-Regeln im App Store, Browser-Wahl | 500 Mio. € Geldstrafe (April 2025) |
| Meta | „Pay or Consent"-Modell, DSGVO-Umgehung | 200 Mio. € Geldstrafe (April 2025) |
| TikTok | Jugendschutz, Algorithmische Verstärkung | Laufende Untersuchung |
Differenzierte Positionen innerhalb der westlichen Allianz:
Auf der politischen Ebene (Ebene 4) vertreten EU und USA ähnliche Positionen bezüglich eines offenen Internets gegenüber staatlich-zentralisierten Modellen.
Auf der regulatorischen Ebene (Ebene 3) bestehen jedoch Differenzen: Die US-Regierung äußert Bedenken, dass DMA und DSA als Handelshemmnisse wirken könnten, die primär US-Unternehmen betreffen.
Diese unterschiedlichen Ansätze erfordern eine koordinierte transatlantische Abstimmung in Fragen der Internet-Governance.
Ebene 4: Die politische Ebene – Konkurrierende Governance-Modelle
Wir haben gesehen: Tech-Konzerne dominieren Kabel und Plattformen, Multistakeholder-Gremien verwalten Adressen. Aber wer entscheidet, dass das so bleibt? Das ist die Frage von Ebene 4 – und 2025 ist sie so umstritten wie nie.
Die vierte und letzte Ebene steht über den anderen drei: Hier werden grundsätzliche Fragen der Regulierung und Kontrolle verhandelt. Wer definiert die Regeln für Zugang, Inhalte und Datenflüsse?
Zunehmende Fragmentierungstendenzen
Im Jahr 2025 ist die Debatte um das „Splinternet" – eine Fragmentierung des Internets entlang nationaler oder regionaler Grenzen – von theoretischer Diskussion zu einer beobachtbaren Entwicklung geworden. [32] [33]
Modell 1: „Digitale Souveränität" (Staatlich-zentralisiert)
Akteure: Volksrepublik China, Russische Föderation
Ideologie: Jeder Nationalstaat hat das uneingeschränkte Recht, „sein" nationales Internetsegment vollständig zu kontrollieren. Das Internet wird nicht als globaler Gemeinschaftsraum, sondern als Teil des nationalen Territoriums betrachtet. [35] [37]
Umsetzung:
China: Die Große Firewall
Inhaltsfilterung und Datenlokalisierung. Ausländische Unternehmen müssen Daten chinesischer Bürger:innen auf lokalen Servern speichern. Förderung heimischer Plattformen (WeChat, Baidu, Alibaba).
Russland: Das Souveräne Internet
Das „Souveräne Internet"-Gesetz (2019) ermöglicht technische Abkopplung vom globalen Netz. [39] Seit 2022 verstärkte Umsetzung: Blockade ausländischer Plattformen, Förderung von VKontakte, Filterung an nationalen Übergangspunkten.
Modell 2: „Multistakeholder-Modell" (Dezentral-offen)
Akteure: USA, Europäische Union
Ideologie: Ein offenes, globales, freies und unfragmentiertes Internet. Die Verwaltung soll kein Privileg von Regierungen sein, sondern ein Konsensprozess zwischen allen Akteuren: Privatwirtschaft, technische Community und Zivilgesellschaft.
Umsetzung: Verteidigung des Modells in globalen Foren, „Declaration for the Future of the Internet (DFI)" zur Bildung einer Koalition für dieses offene Modell.
Die Verhandlungen 2025: Entscheidungsjahr bei den Vereinten Nationen
Die Auseinandersetzung zwischen diesen Governance-Modellen findet 2025 in UN-Foren in New York und Genf statt. Das Jahr 2025 wird als kritisches Jahr für das Multistakeholder-Modell eingestuft. [41] [42]
Global Digital Compact (GDC) verabschiedet
WSIS+20 Überprüfung – Das Schlüsseljahr
ICANN neue Strategie 2026-2030 in Kraft
Entscheidungsjahr für Internet-Governance
Die Debatte ist nicht bipolar (West vs. Ost). Eine wichtige Rolle spielen Staaten des Globalen Südens.
Das Konzept der „digitalen Souveränität" findet in vielen Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas Resonanz. Die Gründe sind differenziert:
Historische und strukturelle Bedenken:
- Bedenken hinsichtlich wirtschaftlicher Abhängigkeit von US-Technologiekonzernen
- US-Unternehmen kontrollieren wesentliche physische Infrastruktur (Ebene 1)
- US-Unternehmen dominieren Plattformmärkte (Ebene 3)
Ökonomische Perspektiven:
- Das „Multistakeholder-Modell" wird teilweise als primär an kommerziellen Interessen orientiert wahrgenommen
Empirisches Beispiel: Argentiniens Distanzierung vom GDC im Oktober 2024 illustriert Vorbehalte im Globalen Süden. [14] Verschiedene Staaten äußern Bedenken gegenüber Rahmenwerken, die als Verfestigung bestehender Strukturen wahrgenommen werden.
Teil 2: Technische Grundlagen
Teil 1 hat gezeigt: Auf jeder der vier Ebenen gibt es unterschiedliche Akteure mit unterschiedlicher Macht – von US-Technologiekonzernen, die Unterseekabel bauen, bis zu geopolitischen Verhandlungen bei den Vereinten Nationen.
Aber: Um zu verstehen, warum IP-Adressen eine „knappe Ressource" sind oder was genau ICANN verwaltet, brauchen wir technisches Grundwissen.
Teil 2 erklärt nun die technischen Grundlagen: Wie werden Geräte adressiert? Wie findet ein Datenpaket seinen Weg durch das Netz? Was bedeutet Netzneutralität konkret?
Adressierung und Identität
Um die Machtkämpfe zu verstehen, benötigen wir solides Verständnis der technischen Grundlagen.
Was ist eine IP-Adresse?
Eine IP-Adresse ist die grundlegende „Postanschrift" für jedes Gerät im Internet. Entscheidend ist die Unterscheidung zwischen:
Öffentliche IP-Adressen
Beispiel: 185.119.160.10
Dies ist die globale, weltweit einzigartige Adresse, die Ihr Router vom ISP (Internet Service Provider) erhält. Nur mit dieser Adresse ist Ihr Netzwerk aus dem globalen Internet erreichbar. Öffentliche IP-Adressen sind eine knappe Ressource und werden offiziell verwaltet.
Private IP-Adressen
Beispiele: 192.168.1.5, 10.0.0.8
Private IP-Adressen dienen dem internen Gebrauch in Ihrem lokalen Netzwerk (LAN/WLAN). Sie funktionieren wie „Durchwahlen" in einem Bürogebäude – die „Durchwahl 101" gibt es in fast jeder Firma, sie ist aber nur intern gültig. Diese Adressen werden im globalen Internet nicht geroutet und sind in RFC 1918 definiert.
NAT – Der Übersetzer
Ihr Heimrouter agiert als Übersetzer mittels NAT (Network Address Translation): Der Router besitzt eine öffentliche IP-Adresse. Wenn Ihr Laptop (mit der privaten IP 192.168.1.5) eine Webseite aufruft, tauscht der Router die private gegen seine öffentliche IP aus. Wenn die Antwort zurückkommt, merkt er sich, an welches interne Gerät (Ihren Laptop) er die Daten weiterleiten muss.
DHCP (Dynamic Host Configuration Protocol) vergibt automatisch private Adressen an Ihre Geräte im WLAN.
Verwaltung der IP-Adressen: Die administrative Hierarchie
Niemand kann sich eine öffentliche IP-Adresse „nehmen". Sie werden in strenger Top-Down-Hierarchie verteilt – das Herzstück der logischen Ebene (Ebene 2):
- Globale Ebene: IANA/ICANN verwaltet die „großen Töpfe" aller IP-Adressen
- Regionale Ebene: RIRs (z.B. RIPE NCC für Europa) erhalten große Blöcke
- Lokale Ebene: LIRs (z.B. A1 Telekom Austria) erhalten kleinere Blöcke
- Endkunden: ISPs weisen Ihnen (meist dynamisch) eine öffentliche IP zu
Die Adressknappheit: IPv4 vs. IPv6
Das System steht seit über einem Jahrzehnt vor einem fundamentalen Problem: Die Adressen des alten Standards IPv4 sind aufgebraucht.
| Feature | IPv4 | IPv6 |
|---|---|---|
| Adresslänge | 32 Bit | 128 Bit |
| Maximale Adressen | ~4,3 Milliarden | 340 Sextillionen (3,4 × 10³⁸) |
| Status | Global erschöpft seit 2019 | Unerschöpflich verfügbar |
| Beispiel | 185.119.160.10 | 2001:0db8:85a3::8a2e:0370:7334 |
| RIPE NCC | Letzte Blöcke 2019 vergeben | Ausreichend verfügbar |
Adoptionsstatus 2025: Der Übergang läuft im „Dual Stack"-Modus – moderne Geräte besitzen beide Adresstypen. Ihr Betriebssystem versucht zuerst IPv6, nutzt IPv4 nur als Fallback.
IPv6-Adoption nach Region (Stand Q4 2025)
Regionale Unterschiede (Stand Q4 2025): [47] [50]
- Frankreich: ~80% IPv6-Nutzung
- Deutschland: ~75%
- Indien: ~74%
- Österreich: ~42% (EU-Mittelfeld)
- Global: ~47%
A1 Telekom Austria (AS8447) und Magenta Telekom (AS8412) treiben die IPv6-Adoption aktiv voran. Moderne Mobilfunknetze (4G/5G) sind oft bereits „IPv6-native".
Das DNS – Das „Telefonbuch" des Internets
Das Domain Name System (DNS) ist die zweite Säule der logischen Infrastruktur. Es übersetzt für Menschen lesbare Namen (z.B. google.com) in maschinenlesbare IP-Adressen (z.B. 142.250.184.142).
Der Prozess ist hierarchisch:
- Root-Server: 13 globale Cluster (verwaltet von ICANN/IANA), wissen, wer für
.atzuständig ist - TLD-Server: Jede Top-Level-Domain (
.com,.de,.at) hat eigene Nameserver - Authoritative Nameserver: Der Hoster (z.B. World4You, Easyname) hält den finalen Eintrag (A-Record)
Die Verwaltung (Registry) aller .at-Domains obliegt der nic.at GmbH mit Sitz in Salzburg. [52] nic.at betreibt die TLD-Nameserver für die .at-Zone.
Neue Rolle 2025: Der CTO von nic.at ist seit 2024 Co-Chair im TLD ISAC (Top-Level-Domain Information and Sharing Analysis Centre). [53] Dieses Gremium koordiniert Informationsaustausch zwischen europäischen Registries für Sicherheitsvorfälle wie Zero-Day-Exploits oder großflächige Angriffe auf DNS-Infrastruktur.
Die Lektion: Selbst „technische" Registries wie nic.at sind 2025 aktiv in Cybersecurity-Governance involviert.
Der Datenverkehr: Routing zwischen Netzwerken
Wir wissen nun, wie Adressen (IP) und Namen (DNS) verwaltet werden. Doch wie finden die Datenpakete ihren Weg durch Tausende von Netzwerken?
Das „Netzwerk der Netzwerke": Autonome Systeme (AS)
Das Internet ist kein einzelnes Netz, sondern ein Verbund von Tausenden unabhängigen Netzwerken. Jedes dieser großen Netzwerke = Autonomes System (AS).
Ein AS hat:
- Eine weltweit eindeutige Nummer: ASN (Autonomous System Number)
- Eine einheitliche Routing-Politik nach außen
- Einen Betreiber (ISP, Konzern, Universität)
Beispiele österreichischer AS:
| Unternehmen | ASN | Rolle |
|---|---|---|
| A1 Telekom Austria AG | AS8447 | Größter ISP Österreichs, nationale/internationale Routen |
| Magenta Telekom (T-Mobile) | AS8412 | Zweitgrößter ISP, Mobile & Fixed |
| Hutchison Drei Austria GmbH | AS8437, AS25255 | Mobile Network Operator |
| AS15169 | Globales Content-Netzwerk, YouTube, Search |
Das Navigationssystem: Border Gateway Protocol (BGP)
BGP ist das „Navigationssystem" des Internets. Es ist das Protokoll, mit dem Autonome Systeme an ihren „Grenzen" miteinander sprechen.
So funktioniert es:
Ein AS (z.B. AS8447 von A1) nutzt BGP, um seinen Nachbar-AS mitzuteilen, welche IP-Adressblöcke (genannt „Präfixe") über sein Netzwerk erreichbar sind.
A1 „verkündet" (announces) das Präfix 46.74.0.0/15 (ein Block von 131.072 IP-Adressen) und sagt damit dem Rest des Internets:
„Alle Datenpakete, die an eine dieser Adressen gerichtet sind, schickt bitte zu mir, AS8447."
Jeder große Router im Internet erstellt aus diesen Ankündigungen eine globale Routing-Tabelle und wählt den effizientesten Pfad (den Pfad durch die wenigsten AS-Systeme).
Die Ökonomie des Routings: Peering vs. Transit
Die Verbindung zwischen zwei AS ist keine technische, sondern eine kommerzielle Entscheidung. Es gibt zwei Hauptmodelle, wie Autonome Systeme ihre Netzwerke verbinden:
Transit (Bezahlt)
Szenario: Ein kleineres AS (z.B. lokaler ISP) bezahlt ein größeres AS (einen „Tier-1-Carrier" wie Arelion AS1299 oder Cogent AS174) für den Zugang zum Rest des Internets.
Modell: Der kleine ISP kauft „Transit" als bezahlten Dienst. Der große Carrier leitet allen Traffic des kleinen ISPs ins globale Netz weiter.
Peering (Kostenneutral)
Szenario: Zwei AS von ähnlicher Größe (z.B. A1 und Magenta) stellen fest: Sie tauschen viel Datenverkehr aus (Kunden von A1 rufen Server bei Magenta auf und umgekehrt).
Modell: Sie verbinden ihre Netze direkt an einem Internet Exchange Point (IXP) (z.B. Vienna Internet eXchange, VIX) und vereinbaren „Peering" – meist kostenneutral. Sie tauschen ihre eigenen Kunden-Netzwerke aus, aber nicht den Zugang zum Rest der Welt.
IXPs – Die Knotenpunkte
Internet Exchange Points (IXPs) sind physische Infrastrukturen, wo viele AS ihre Netzwerke direkt miteinander verbinden (Peering).
Vorteile: IXPs bieten niedrigere Latenz (direkter Weg statt über Transit-Provider), geringere Kosten (kein Transit-Provider als Mittelsmann) und höhere Resilienz (mehrere direkte Verbindungen).
Beispiel Österreich: Der VIX (Vienna Internet eXchange) ist ein bedeutender IXP, wo A1, Magenta, Drei und internationale Carrier peeren.
Der Grundsatz der Netzneutralität
In diesem komplexen System von Verbindungen und kommerziellen Vereinbarungen ist ein Prinzip von fundamentaler Bedeutung – es verbindet die technische mit der politischen Ebene:
Definition
Netzneutralität, in der EU durch die Verordnung 2015/2120 festgeschrieben, ist das Grundprinzip, dass alle Datenpakete im Internet gleich behandelt werden müssen. Der Internetprovider (Betreiber von Ebene 1 und dem AS auf Ebene 2) darf den Verkehr nicht diskriminieren.
Verboten ist:
- Blockieren: Zugang zu legalen Diensten eines Konkurrenten (z.B. Netflix) sperren
- Drosseln (Throttling): Netflix-Stream absichtlich langsam machen, um eigenes TV-Produkt zu bewerben
- Bevorzugen (Fast Lanes): Von einem Dienstanbieter (z.B. YouTube) Geld verlangen, damit dessen Datenpakete „schneller" zugestellt werden
Die aktuelle Debatte 2025: Die „Fair Share"-Diskussion
Im Jahr 2025 wird dieses Prinzip durch die sogenannte „Fair Share"-Debatte in Frage gestellt.
Position der Telekommunikationsunternehmen:
Große europäische Telekom-Konzerne (Infrastrukturbetreiber auf Ebene 1) argumentieren: Große Content- und Anwendungsanbieter (CAPs) – Google, Meta, Netflix, Amazon (dominante Akteure auf Ebene 3) – verursachen einen signifikanten Anteil des Datenverkehrs.
Ihre Forderung: Diese CAPs sollten sich finanziell am Infrastrukturausbau beteiligen.
Gegenposition (Verbraucherschutz & Zivilgesellschaft):
Organisationen wie der Europäische Verbraucherverband BEUC sehen dies als potenzielle Einschränkung der Netzneutralität. [63]
Ihre Argumentation:
- Eine solche Gebühr könnte zu höheren Kosten für Verbraucher:innen führen
- Marktzugang für kleinere Anbieter könnte erschwert werden
- Es könnten unterschiedliche Serviceklassen entstehen
Status in Österreich & EU (2025)
Österreich (RTR): Die RTR (Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH) ist die nationale Regulierungsbehörde für Netzneutralität. In ihrem Netzneutralitätsbericht 2024 (Juni 2024) bezeichnete die RTR die „Fair Share"-Debatte als „kontroversielles Thema" und betont, die Diskussion auf EU-Ebene genau zu beobachten. [64] [65]
EU-Ebene (Spannung): Während die „Fair Share"-Debatte auf politischer Ebene (EU-Kommission) aktiv diskutiert wird, hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die strenge Auslegung der Netzneutralität im Juli 2025 weiter gestärkt.
In einem Urteil (C-367/24) verschärfte der EuGH die Regeln gegen sogenannte „Zero-Rating"-Tarife und bekräftigte, dass jegliche Diskriminierung von Verkehr (auch das Drosseln von Video-Streams in bestimmten Tarifen) gegen die EU-Verordnung verstößt. [67]
Es besteht eine Spannung zwischen:
- Politischen Initiativen zur Kostenbeteiligung (Fair Share-Debatte)
- Gerichtlichen Entscheidungen zur Bekräftigung der Netzneutralität (EuGH)
Die weitere Entwicklung wird von den Ergebnissen dieser parallelen Prozesse abhängen.
Teil 3: Fazit und Ausblick
Wir haben in Teil 1 die vier Ebenen des Internets analysiert und in Teil 2 die technischen Grundlagen verstanden. Nun können wir die Ausgangsfrage beantworten: Wem gehört das Internet?
Die formale Antwort „Niemandem gehört das Internet" beschreibt nicht die empirische Realität 2025. Das Internet ist eine komplexe Infrastruktur mit differenzierten Kontrollstrukturen auf verschiedenen Ebenen.
Die wichtigsten Erkenntnisse
1. Physische Infrastruktur (Ebene 1)
Dominante Akteure: US-Technologiekonzerne (Meta, Google, Amazon)
Diese Unternehmen investieren zunehmend in eigene globale Unterseekabel-Infrastruktur. Traditionelle Telekommunikationsunternehmen verlieren ihre frühere Position als alleinige Infrastrukturbetreiber. Die Investitionen ermöglichen vertikale Integration und strategische Positionierung.
2. Logische Infrastruktur (Ebene 2)
Verwaltungsstrukturen: Multistakeholder-Organisationen (ICANN, RIPE, IETF)
Diese Gremien sind zunehmend mit geopolitischen Fragestellungen konfrontiert. Sie müssen ihre institutionelle Rolle in UN-Prozessen gegenüber alternativen Governance-Modellen verteidigen und weiterentwickeln.
3. Plattform-Ebene (Ebene 3)
Marktstruktur: Hohe Konzentration bei wenigen Technologiekonzernen (Google, Amazon, Meta, Apple)
Die Marktkonzentration wird durch kapitalintensive KI-Investitionen verstärkt. Die erforderlichen Investitionsvolumina (prognostiziert 439 Mrd. $ bis 2026) begünstigen kapitalkräftige etablierte Akteure.
4. Politische Ebene (Ebene 4)
Governance-Landschaft: Verschiedene konkurrierende Modelle
Die EU setzt auf regulatorische Ansätze (DMA/DSA). Die USA betonen marktwirtschaftliche Lösungen. Diese unterschiedlichen Ansätze erfordern transatlantische Koordination, während Staaten des Globalen Südens eigene Prioritäten entwickeln.
Was bedeutet das?
Das Internet hat 2025 keinen einzelnen zentralen Eigentümer.
Jedoch zeigt die Analyse eine signifikante Konzentration bei wenigen Technologiekonzernen auf den Ebenen der physischen Infrastruktur und der Plattformen, sowie einen intensiven Verhandlungsprozess zwischen verschiedenen Akteuren um die Governance-Regeln dieser globalen Infrastruktur.
Handlungsfelder für Unternehmen, Organisationen und Entscheidungsträger:innen:
-
Infrastruktur-Abhängigkeiten analysieren: Europäische Organisationen nutzen zunehmend US-basierte Infrastruktur (Cloud, Netzwerke, Plattformen). Eine Bewertung dieser Abhängigkeiten ist sinnvoll.
-
Regulatorische Rahmenbedingungen verstehen: DMA und DSA schaffen neue Compliance-Anforderungen, eröffnen aber auch Möglichkeiten für europäische Anbieter.
-
IPv6-Migration vorantreiben: Der Übergang zu IPv6 ist technisch notwendig. Österreich (42% Adoption) liegt im EU-Mittelfeld – kontinuierliche Fortschritte sind erforderlich.
-
Netzneutralitätsdebatte verfolgen: Die „Fair Share"-Diskussion betrifft grundlegende Prinzipien der Internet-Architektur – eine informierte Positionierung ist relevant.
-
Internationale Kooperation gestalten: Europäische Digitalstrategie sollte die Perspektiven des Globalen Südens berücksichtigen und partnerschaftliche Ansätze entwickeln.
Referenzen & Quellen
Diese Analyse basiert auf 67 Quellen aus akademischen Studien, Policy-Dokumenten, technischen Standards und Analysen führender Think Tanks:
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